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Ogre You Asshole – Balance

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In letzter Zeit zu viel Thomas Bernhard gelesen

Wie kann es eigentlich sein, frage ich mich, dass, wenn ich die Maus an den unteren Bildschirmrand fahre, schon wieder die 25 auf dem kleinen Kalender-Icon in der Taskleiste steht, aber es ist ja, wenn man ehrlich ist, keine Frage, für die man eine Antwort erwarten oder gar suchen würde, und auch kein Ausdruck des Erstaunens, denn zum Erstaunen gehört eine gewisse Portion Überraschung, und die stellt sich nun einmal nicht ein, wenn es vor dem 25. ja den 24., den 23. und so weiter gab, man also auf jeden Fall vorgewarnt wurde.

Es ist, um die Sache abzukürzen, am Ende ja eher ein Ausdruck des Enttäuschtseins über das eigene Nichtstun, Nichtserreichen, das sich trotz des mit Plänen und Entschlüssen schwangeren, jugendfrischen Januarbeginns nun doch fortgesetzt hat. Schaut man auf die vergangenen Wochen zurück, drei Wochen sind es, kann man doch fast alle der Tage mit Erinnerungen auffüllen, aber das gegenwärtige Nichtsnutzgefühl lässt sich davon ja nicht beeindrucken.

Das Nichtsnutzgefühl hat dem nur mit vagen, noch dazu unzuverlässigen Ergebnissen nur mässig wirkendem Herumtasten in der Erinnerung nämlich Fakten, harte, kalte Fakten sind es, entgegenzusetzen. Der Thomas Bernhard hat eine Auflistung von Werken auf seiner Wikipedia-Seite, für deren Überschauen man mehrere Male herunterscrollen muss. So etwas glaubte ich bisher eher auf japanische Autoren beschränkt, denen die Verlage ja per Vertrag praktisch jährlich ein Werk abverlangen, und die, wenn sie nicht gerade zum Burai-ha gehörten, normalerweise auch lange genug leben, um die vier, fünf guten Bücher, die sie schreiben konnten, mit allerlei Mittelmässigem zu übertünchen.
Aber auch wenn der Bernhard relativ schnell zu veröffentlichen anfing (und Mitte zwanzig ist ja auch nicht so furchtbar früh), hat er ja doch nur 60 Jahre gelebt, und dann so viel Veröffentlichbares geschrieben. Das ist zwar zu bewundern und zu begrüssen, weil’s ja Gutes in seinem Werk zu finden gibt, aber zu Jahresanfängen, und das ist der Januar auch am 25. noch, passt es nicht. (Das Schlimmere am Bernhard ist, dass er die Schachtelsätze ein wenig zu gut beherzt, sie auch schamfrei onaniererisch anwendet, zugutehalten muss man der Technik aber, dass sie trotz der Wichserigkeit am Ende aber mit sinnvollem Effekt eingesetzt ist.)

Jedenfalls: es ist der 25. Ich habe keine Pointe, aber wenigstens ein bisschen was gegen das Drecksgefühl getan.

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Anna Karenina

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde Dr. Adan Abokor in Somalia zum Tode Dr. Adan Abokorverurteilt.
Seine Aktivität als Direktor eines selbstorganisierten Krankenhauses, als einer von 28 Mitgliedern des «Hargeisa Group Hospitals», hielt das Regime um Siad Barre für gefährlich, und klagte ihn und seine Mitarbeiter des Versuchs an, die Regierung zu stürzen. Nach der Verkündung der Urteile brachen Studentenunruhen und -proteste in Hargeisa aus. Um ein Ausweiten der Proteste, die dem Regime gefährlich hätte werden können, zu verhindern, wurden die Urteile abgeändert: Todesurteile wurden lebenslange Haftstrafen, einige Verurteilte wurden zufällig freigesprochen. Andere Haftstrafen wurden, um den Gerichtsverfahren den Anschein von Anständigkeit zu geben, auf unter zehn Jahre gesetzt. Gemeinsam mit fünf weiteren Verurteilten würde Dr. Adan Abokor über sieben Jahre in Einzelhaft in Labatan Jirow verbringen.

Einer seiner Freunde, der vergaß, einen belastenden Brief aus seinem Besitz zu entfernen, wurde im Gefängnis Opfer von Folter. Die Häftlinge, jeder allein in einer anderen Zelle, der einzige menschliche Kontakt die Wärter, die jeden Abend die Zellen auf Abschriften und Notizen kontrollierten, entwickelten einen Weg der Kommunikation.
Als ein Wärter auf seine Zelle wenige Meter passiert hatte, gab es ein Klopfen an Abokors Wand. Pock. Pock-pock.
Gleichzeitig eine Stimme aus der Nebenzelle: «Das ist ein Alphabet. Schreib es dir auf, und präg es dir ein». Buchstabe für Buchstabe wurde durchgegeben; Abokor notierte sich die Bedeutungen an einer Wand und löschte die Notizen, bevor es Abend wurde. Die Verurteilten hatten eine Möglichkeit gefunden, sich Botschaften mitzuteilen.

Die geistige Gesundheit seines Freundes litt unter stark – weniger unter der Folter als unter der Isolation der Einzelhaft. Angstattacken liessen ihn in der kleinen Zelle in Unruhe ausbrechen, wenig schlafen. Er zweifelte an seiner Gesundheit, dachte, sein Herz würde aufgeben. Mittels des Klopf-Alphabets versuchte Dr. Abokor ihn zu beruhigen; körperlich ginge es ihm gut, die Zustände würden nur seinem Geist zusetzen.
Eine Ausnahme, die ein Wärter Abokor gestattete, erlaubte ihm, seinem Freund zu helfen. Allen Gefangenen war gestattet, ein einziges Buch auf ihren Zellen zu lesen: den Koran. Abokor, wohl weil wegen seiner Ausbildung zum Doktor, durfte sich stattdessen ein Buch aus seinem Besitz aussuchen. Er wählte Anna Karenina von Tolstoi, das dickste Buch, das er sich gekauft hatte.

A—l—l—e—g—l—ü—c—k—l—i—c—h—e—n—F—a—m—i—l—i—e—n…

Er begann, das Werk Tolstois durch die Wand zu klopfen, Buchstabe für Buchstabe. Die Geschichte half seinem Freund, sich von seinen Gedanken abzulenken. Er erzählt, dass es nicht nötig gewesen sei, jedes Wort voll auszuschreiben. Man würde aus dem Kontext oft nach wenigen Buchstaben verstehen, welches Wort gemeint ist. So konnte das Buch zügig übermittelt werden. bis zu 20 Seiten am Tag.

Für das gesamte Werk klopfte Abokor zwei Monate lang mit den Fingern an die Wand. Seinem Freund ging es im Laufe des Buchs besser. Anna Karenina sei eine wunderbare Geschichte, auf die man sich voll konzentrieren kann. Abends, wenn nach Stromschluss kein Lesen mehr möglich war, unterhielten sie sich über allgemeine Themen des Lebens.

1989, mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem Ende der Unterstützung Barres durch die USA, wurde Abokor in die Freiheit entlassen, nach 2375 Tagen in Einzelhaft. Anna Karenina habe er unzählige Male gelesen in den über sieben Jahren. Heute, der Erinnerungen wegen, würde er das Buch nicht mehr anrühren.

Interview mit Dr. Adan Abokor im Warscapes Podcast (Soundcloud)
Interview mit Dr. Adan Abokor (BBC iPlayer)
Buch «The Mourning Tree» von Mohamed Barud Ali, für den Dr. Abokor «Anna Karenina» klopfte (Somaliland.org)

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McDonalds, Ueno

Man sitzt in der zweiten Etage eines McDonald’s in Ueno, eigentlich nur, weil es schwer nach Regen aussieht und man mit dem Macbook keinen Schaden riskieren kann. Als Alibi oder eher als Sitzberechtigung hat man einen Burger für 100 Yen und einen Milkshake für 124 Yen gekauft, sitzt nun an einem Zweiertisch Richtung Fenster und schaufelt sich die letzten Flashcards eines Vokabel-Sets rein. Die letzten Karten eines Sets sind immer Wiederholungen von Wörtern, die man vor Wochen zu lernen angefangen hat. Wenn das Set durch ist, kann man morgen endlich neue Wörter lernen.
Zuvor saß man im Ueno-Park an einem kleinen Teich mit Fontänen und hat schon nebenher das Kartenlernen betrieben, während man sich die Menschen ansah und lose auf dem Macbook chattete. Links porträtierte ein Maler ein älteres Paar, dann kamen zwei junge Frauen vorbeigelaufen, die sich daran anschließend doch bitte einem Portrait unterziehen sollten. “無料”, betonte der Maler mehrere Male. Überrascht hatte mich das.
Megs Chatfenster poppte auf. Sie fragte, ob S. und ich uns getrennt hätten. S und Meg hatten sich gestern getroffen, hatte ich ganz vergessen. “Ja,” haben wir, schrieb ich. Woran lag es? Kein Sex, gar kein Sex. Ja, sie war mir trotzdem immer wichtig, auch jetzt. Wertlose Symbolversicherungen.
“S hat mir gestern erzählt, sie wolle wieder mit dir zusammensein.” Zehn Minuten später hatte ich eine passende Antwort gefunden.
“Oh.”

Nun sitzt man also im McDonald’s. S hatte angerufen, zwei Mal, gar nicht gemerkt. Jetzt ist ihr Chatfenster offen; “kannst du telefonieren? Wenn nicht, kannst du mir sagen, wann du telefonieren kannst?” Es ließe sich nicht über Line besprechen, sagt sie. Dann aber doch.
“Wir haben Schluss gemacht?” “Ja, schon.”
Man will schon seit Monaten Schluss machen. Im März hatte man zwei Gespräche geführt, aber weil man sie eigentlich liebt und von den vorstellbaren Universen gerade das im Auge hat, in dem es mit ihr läuft, entschloss man sich, den Verbesserungsversprechen Vertrauen zu schenken.
“Und was stört dich an mir? Ist ja unfair, wenn nur ich mir Änderungen wünsche”, bot man an. “Nein. Du bist perfekt.” Naja.
Dann Ende April wieder, diesmal mit finaler Absicht. Man fuhr abends extra mit dem Fahrrad zu ihr, um für die Heimreise nicht vom letzten Zug abhängig zu sein. Man könne hinterher ja nicht bei ihr übernachten.Sie hatte das nicht akzeptiert. Zum Auseinandergehen gehören zwei, sagte sie, und wenn sie nicht will, können wir uns nicht trennen.
Man entschied sich dann einfach, keine Zeit mehr zu haben, sich zu treffen. Reagiert nicht mehr so richtig auf sie, versteht die Handlungen, die meine Gefühle und Taten manipulieren, langsam als manipulierend. Außerdem hat man Sex mit K. Nicht um S zu schaden oder aus Genugtuung, sondern aus Gründen, die gar nichts mit S zu tun haben. Mit K kann man entspannen; fühlt sich nicht als Rolle, sondern als Person. Man beginnt zu verstehen, was fehlt. Die Anziehungskraft von K ist nicht umfänglich, aber einen Reiz hat sie schon.

Nun hatte man letztes Wochenende notwillig ein Treffen mit S auf den Samstagabend eingeschoben, vor dem dem DJ-Auftritt in Ebisu. Sie war so einsam, sagte sie, da hat man nachgegeben und ein Sushi-essen vereinbart. Sie kam zu spät, 15 Minuten. 15 Minuten sind nicht die Welt, wenn man in Ueno am See sitzt und die andere Uferseite im Blick hat. Manchmal sind 15 Minuten mit einer ganz eigenen Wichtigkeit versehen.
Sie komme mit zur Bar, beschloss sie; will mich DJen sehen.
“Scheint dir wohl nicht zu passen”, sagte sie im Zug neben mir. “Was ist dir wichtiger, Party oder ich?” Man kann “Party” in der Frage gegen viele Dinge austauschen, ich hörte das Satzformat nicht zum ersten Mal.
Als sie genervt aus der Bahn stieg, vor unserer Zielstation, lasse ich sie zum ersten Mal einfach gehen. Sage ihr per Chat darauf keine Entschuldigung. Dann antwortet sie. “Ist besser, wenn wir uns trennen.” Später: “Von jetzt an bin ich Single” und “Ich werde allein sein”. Zugegeben, es uebersetzt sich nicht gut ins Deutsche. Den DJ-Auftritt hat man dann verkackt.
Jetzt, per Line-Chat, versichert sie, das habe sie nicht gesagt. So nicht gesagt. Ein Lachen fügt sie ihren Satzenden hinzu. Ein Japanisch-Missverständnis sei das nur, siehst du, ihre Mitbewohnerin war ja noch nicht zuhause, daher wäre sie alleine, und Single zuhause.

Morgen übernachtet K bei mir. Sex ginge nicht, aber sie bringe ein paar Filme mit.

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Myao Uninen’s Cheese Moon exhibit

One of the more pleasant things I’ve done on Saturday was visit my friends Megumi and Yudai’s exhibition, “Cheese Moon”. The gallery they hosted it at was near Sendagaya station, so I got to ride the Chuo line along Sotobori Park.

Yudai Suzuki & Megumi OhtoMegumi and Yudai have been working together on illustration for about a year and a half, under the name Myao Uninen. The majority of their published work can be found on their blog, in the form of a diary in which they illustrate short sayings (“Can’t see the forest for the trees“) or animals, like the Clione. Their art has a distinct, simple style to it, and a playfulness I’m fond of. It’s also obviously very child-friendly, an aspect they highlighted in their first exhibition at with illustrations from their first children’s picture book.

My Home WhaleLast week’s exhibition (already done and over, sorry!) was more about the asobi air of their work. Ten, fifteen prints about silly things like monkeys stealing letters from the alphabet and snakes aspiring to become cinnamon rolls some day.
Now, it’s a bit moot to describe drawings (you could just see them for yourself), and as someone a little too proud of his ability to draw Bonobono’s face at will, I’ll spare you unqualified opinions. But what delighted me about the pieces in the exhibition were the small stories embedded in them.

Let’s look at one called Spook Steam. There’s a ghost in it and a steaming pot of nabe. In the accompanying, short text underneath, it reads, Spook Steam
湯気を見て、仲間だと勘違いするオバケがいるかもしれない。
(“There might be a ghost mistaking vanishing steam for a friend.”)
Easy to start browsing the accompanying childrens’ book in your head, about an optimistic ghost not disillusioned by all his steam friends ignoring him.

Asked how they come up with the illustrations in the series, Megumi explains they always collect ideas for new drawings. They might be waiting for the lights to turn green, imagine a wolf mistake the yellow signal for the moon. Phrased in short Japanese, next to Yudai’s clear shapes and lines, you get the seed for a little story playing out in your head.

Ideally, I’d have taken home one of the prints in the exhibition, but alas, a slim wallet meant I had to walk home with more miniature size bits (one of the last remaining pocket calendars and a few tsuketasu hagaki (postcards you’re meant to add your own drawings to).

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Juni

There would be multiple tears on her face and a huge smile. The room would be gleaming with sunlight; it’s just turned June, and the window’s facing East and you’ve no money for curtains.


Do you realise it. Is there a sense in you for it. How alive you are.

Everything!
Vibrant!
With life!

There would be no use talking her down. Some thought or other must have hit her in the head. She seems happy. You watch her be.