Man sitzt in der zweiten Etage eines McDonald’s in Ueno, eigentlich nur, weil es schwer nach Regen aussieht und man mit dem Macbook keinen Schaden riskieren kann. Als Alibi oder eher als Sitzberechtigung hat man einen Burger für 100 Yen und einen Milkshake für 124 Yen gekauft, sitzt nun an einem Zweiertisch Richtung Fenster und schaufelt sich die letzten Flashcards eines Vokabel-Sets rein. Die letzten Karten eines Sets sind immer Wiederholungen von Wörtern, die man vor Wochen zu lernen angefangen hat. Wenn das Set durch ist, kann man morgen endlich neue Wörter lernen.
Zuvor saß man im Ueno-Park an einem kleinen Teich mit Fontänen und hat schon nebenher das Kartenlernen betrieben, während man sich die Menschen ansah und lose auf dem Macbook chattete. Links porträtierte ein Maler ein älteres Paar, dann kamen zwei junge Frauen vorbeigelaufen, die sich daran anschließend doch bitte einem Portrait unterziehen sollten. “無料”, betonte der Maler mehrere Male. Überrascht hatte mich das.
Megs Chatfenster poppte auf. Sie fragte, ob S. und ich uns getrennt hätten. S und Meg hatten sich gestern getroffen, hatte ich ganz vergessen. “Ja,” haben wir, schrieb ich. Woran lag es? Kein Sex, gar kein Sex. Ja, sie war mir trotzdem immer wichtig, auch jetzt. Wertlose Symbolversicherungen.
“S hat mir gestern erzählt, sie wolle wieder mit dir zusammensein.” Zehn Minuten später hatte ich eine passende Antwort gefunden.
“Oh.”
Nun sitzt man also im McDonald’s. S hatte angerufen, zwei Mal, gar nicht gemerkt. Jetzt ist ihr Chatfenster offen; “kannst du telefonieren? Wenn nicht, kannst du mir sagen, wann du telefonieren kannst?” Es ließe sich nicht über Line besprechen, sagt sie. Dann aber doch.
“Wir haben Schluss gemacht?” “Ja, schon.”
Man will schon seit Monaten Schluss machen. Im März hatte man zwei Gespräche geführt, aber weil man sie eigentlich liebt und von den vorstellbaren Universen gerade das im Auge hat, in dem es mit ihr läuft, entschloss man sich, den Verbesserungsversprechen Vertrauen zu schenken.
“Und was stört dich an mir? Ist ja unfair, wenn nur ich mir Änderungen wünsche”, bot man an. “Nein. Du bist perfekt.” Naja.
Dann Ende April wieder, diesmal mit finaler Absicht. Man fuhr abends extra mit dem Fahrrad zu ihr, um für die Heimreise nicht vom letzten Zug abhängig zu sein. Man könne hinterher ja nicht bei ihr übernachten.Sie hatte das nicht akzeptiert. Zum Auseinandergehen gehören zwei, sagte sie, und wenn sie nicht will, können wir uns nicht trennen.
Man entschied sich dann einfach, keine Zeit mehr zu haben, sich zu treffen. Reagiert nicht mehr so richtig auf sie, versteht die Handlungen, die meine Gefühle und Taten manipulieren, langsam als manipulierend. Außerdem hat man Sex mit K. Nicht um S zu schaden oder aus Genugtuung, sondern aus Gründen, die gar nichts mit S zu tun haben. Mit K kann man entspannen; fühlt sich nicht als Rolle, sondern als Person. Man beginnt zu verstehen, was fehlt. Die Anziehungskraft von K ist nicht umfänglich, aber einen Reiz hat sie schon.
Nun hatte man letztes Wochenende notwillig ein Treffen mit S auf den Samstagabend eingeschoben, vor dem dem DJ-Auftritt in Ebisu. Sie war so einsam, sagte sie, da hat man nachgegeben und ein Sushi-essen vereinbart. Sie kam zu spät, 15 Minuten. 15 Minuten sind nicht die Welt, wenn man in Ueno am See sitzt und die andere Uferseite im Blick hat. Manchmal sind 15 Minuten mit einer ganz eigenen Wichtigkeit versehen.
Sie komme mit zur Bar, beschloss sie; will mich DJen sehen.
“Scheint dir wohl nicht zu passen”, sagte sie im Zug neben mir. “Was ist dir wichtiger, Party oder ich?” Man kann “Party” in der Frage gegen viele Dinge austauschen, ich hörte das Satzformat nicht zum ersten Mal.
Als sie genervt aus der Bahn stieg, vor unserer Zielstation, lasse ich sie zum ersten Mal einfach gehen. Sage ihr per Chat darauf keine Entschuldigung. Dann antwortet sie. “Ist besser, wenn wir uns trennen.” Später: “Von jetzt an bin ich Single” und “Ich werde allein sein”. Zugegeben, es uebersetzt sich nicht gut ins Deutsche. Den DJ-Auftritt hat man dann verkackt.
Jetzt, per Line-Chat, versichert sie, das habe sie nicht gesagt. So nicht gesagt. Ein Lachen fügt sie ihren Satzenden hinzu. Ein Japanisch-Missverständnis sei das nur, siehst du, ihre Mitbewohnerin war ja noch nicht zuhause, daher wäre sie alleine, und Single zuhause.
Morgen übernachtet K bei mir. Sex ginge nicht, aber sie bringe ein paar Filme mit.